"Die Geschichte vom unglücklichen Ego" ist der Bericht einer Klientin über ihre Erfahrungen in den Jahren der Therapie, mit dem sie mich zur abschliessenden Sitzung überraschte.
Das (im übrigen gern gegebene) schriftliche Einverständnis, den Bericht in die Website zu stellen, liegt vor. Das Copyright liegt bei der Autorin, der ich an dieser Stelle für ihre Offenheit herzlich danke.


Die Geschichte vom unglücklichen Ego
(Eine wahre Geschichte)

 

Vor einigen Jahren lebte ein Ego, welches in einer erwachsenen Frau wohnte, so vor sich hin. Es hatte sich in seiner kleinen Welt recht gut eingerichtet. Auf jeden Fall erschien es so für die Anderen. Und dem Ego war wichtig, was die Anderen dachten. Es wollte keinen enttäuschen. Ja, es wollte beweisen, dass dieses Leben, so wie es war, und wie man es ihm vorgelebt hatte, das Richtige war.

„Das Leben ist ein Kampf, du musst hart arbeiten, damit du sein darfst. Wichtig ist, dass das Finanzielle stimmt." Das Ego hatte vor allem von seiner Mutter gelernt, sich ja nicht abhängig zu machen von Anderen - und schon gar nicht von Männern. Und wenn man dann auch noch Kinder hat, dann ist es Pflicht, für diese zu leben. Dann ist das eigene Leben sowieso nicht mehr so wichtig. „Sich nicht auf Andere verlassen, unabhängig sein und im Leben musst du einfach hart durch", das hatte es immer wieder gehört. Es waren seine Glaubenssätze geworden. Seine Familie hatte es ihm so vorgelebt und es war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Es wollte zwar vieles anders und besser machen als seine Eltern, doch es hatte diese anderen Möglichkeiten nicht kennen gelernt, und so geschah es, dass das Ego gar nicht anders konnte, als nach seinen gelernten Mustern zu leben.

Immerhin, es war ein starkes Ego geworden. Es konnte wirklich zupacken. Und wo immer Not an der Frau war, da sprang es ein. Doch, es war ein tolles Ego geworden! Es wusste viel, lebte für die Anderen. Man konnte es jederzeit um Rat fragen, denn es war auch sehr gescheit. Eigentlich wusste es sehr viel. Grenzen kannte es nicht wirklich und so passierte es immer häufiger, dass es sehr müde wurde. Dann spürte es seine Grenzen. Aber leider erst dann. Und es meldeten sich die Gefühle und Stimmen in ihm. War es vielleicht doch nicht so großartig? Hatte es überhaupt einen Platz auf dieser Welt? Es versuchte doch wirklich, nahezu alles perfekt zu machen und für die Anderen da zu sein. Es bewies doch ständig seine Großartigkeit. Warum erkannten die Anderen das nicht? Jetzt wo es selbst einmal müde war, fühlte es sich einsam und verzweifelt. Es konnte sich nicht eingestehen, dass es einfach normal ist, auch mal müde zu sein.

Ja genau, das war es. Es war einfach nicht normal. Mit ihm stimmte etwas nicht. „Ich bin nicht normal", dieser Satz begleitete nun das Ego. Und es traf immer deutlicher auf Situationen, die das bestätigten. Doch dann die rettende Idee, Plan B, „doch, ich bin normal, die Anderen sind es nicht". Aber auch dieser Plan klappte nicht.

Oft war das Ego einsam und verzweifelt. Es verschloss sich vor der Welt und oft verließ ihn der Mut. Orientierungslos funktionierte es in seiner Welt. Und dann immer wieder diese Gefühle. Irgendwo tief in seinem Inneren spürte es Schmerz und Traurigkeit. Doch es gab da auch die andere Seite. Es konnte sehr wütend und aggressiv sein und trug eine gewaltige Ladung in sich. Immer mehr musste es sich kontrollieren, damit die Anderen diese Ladung nicht erkannten. Lächeln war angesagt. Was für ein Spagat im täglichen Leben! Das Ego war wirklich nur noch am Funktionieren und an seiner Grenze. Das Ganze machte ihm auch Angst, und oft spürte es seine Ohnmacht. Es bestätigte sich immer wieder, es war wirklich nicht normal, einfach nicht gut genug.

Nein, es war wirklich kein glückliches Ego, das musste es sich nach allem Kämpfen eingestehen. Es hatte wirklich mit allen Kräften versucht, die Welt zu verändern, doch eigentlich war es nur rast- und ruhelos umhergeirrt. Das Ego musste und wollte etwas verändern, dieses Verlangen spürte es ganz deutlich. So konnte es mit ihm nicht weitergehen.

Und so kam ihm in den Sinn, was es von einer guten Freundin gehört hatte. Schon ein Jahr zuvor hatte Sie ihm davon erzählt. Da treffen sich Menschen außerhalb des Landes in Gruppen. Sie verbringen eine Woche ihre Zeit gemeinsam und arbeiten dort an sich. Auch über den Körper wird dort viel gearbeitet. Sie laufen bereits am Morgen um das Dorf herum. Das nun wiederum konnte sich das Ego gar nicht so gut vorstellen. Am Morgen schon laufen, na ja. Doch die Freundin wurde nicht müde, dem Ego vorzuschwärmen, wie gut es ihr tat und was es in ihr bewegte. Immer wieder ermutigte sie das Ego, doch auch einmal auf so eine Gruppe mitzukommen.

Der Widerstand jedoch, so etwas zu brauchen, schmolz beim Ego nur langsam. Eines Tages aber ließ es sich dann darauf ein. Es führte vor der Gruppe ein Gespräch mit dem Lebenslehrer, der diese Gruppen zusammen mit einer Kollegin leitete. Er war wirklich ein sympathischer Mensch und hörte dem Ego aufmerksam zu. Das Ego konnte seine Qualitäten anpreisen und ihm vermitteln, wo es stand, ja, dass es sehr viel wusste - und es vielleicht auch nicht unbedingt etwas brauchte. Innerlich überzeugt, diese eine Gruppe zu machen, das war bei ihm sicher ausreichend, begann der Gruppenweg des Ego.

Und es geschah, dass es in dieser Woche keine eigene Arbeit in der Gruppe machte. Obwohl es mindestens drei Anläufe nahm, um zu beginnen, kam das Ego nicht an seine Gefühle heran. Aber wahrscheinlich hatte es so etwas einfach nicht so nötig wie die anderen Teilnehmer, dachte es damals. So viel Platz braucht man sich nicht unbedingt zu nehmen, das ist nicht notwendig, befand es. Vor allem das Ego brauchte ihn nicht wirklich.

Trotzdem beschloss es, noch eine Weile weiterzumachen, denn gleich aufgeben, das war nicht seine Sache. Einzelgespräche, die es nach der Gruppe mit dem Lebenslehrer führte, waren aber doch sehr spannend. Der Lehrer war sehr geduldig mit dem Ego. Das tat ihm gut. Wie damals die Freundin wurde auch der Lebenslehrer nicht müde, ihm wieder und wieder zu sagen, wie wichtig es sei, dranzubleiben, wenn es wieder glaubte, genug gelernt zu haben. Üben, immer wieder üben, bis neue Muster in Fleisch und Blut übergehen, das versuchte der Lebenslehrer ihm zu vermitteln. Auch seine Aussage, dass es am meisten bringe, wenn man sich selbst verändere, denn nur das sei wirklich möglich, konnte das Ego mit der Zeit verstehen. Es merkte, dass so am ehesten Veränderungen im Außen passierten.

Und das Ego blieb tatsächlich dran. Meist begab es sich zweimal im Jahr über die Landesgrenze hinaus, um an weiteren Gruppen teilzunehmen. Am Anfang mit dem Hintergedanken „nur noch diese eine Gruppe", weil dann hatte es sicher gelernt, um was es ging, war es überzeugt. Es wollte fertig sein mit diesem Lernen und endlich zum Abschluss kommen.

Doch immer mehr merkte es, wie gut ihm dieses Zusammensein mit den anderen Menschen in der Gruppe tat. Es konnte in diesen Gruppen doch tatsächlich an Leib und Seele erfahren, wie es sich anfühlte, mit liebenden Augen von idealen Eltern angesehen zu werden. Worte wie „wohlwollend" bekamen plötzlich einen Sinn und wurden spürbar. Sätze wie „bei uns hättest du einen guten Platz gehabt" oder „Eltern, die sich von ganzem Herzen geliebt hätten, und Freude an Ihrer Tochter gehabt und es ihr auch gezeigt hätten", ja solche Sachen lernte das Ego auf diesen Gruppen kennen und vor allem auch fühlen.

Einmal sogar regnete es für das Ego rote Rosen. Dieses Gefühl würde es sein Leben lang nicht vergessen. Auch nicht, als für jemand Anderen in seiner Arbeit ein Lied auf der Gitarre gespielt wurde. Es war schlichtweg überwältigt, was da mit ihm und auch mit anderen Gruppenteilnehmern passierte. Es fanden wirkliche, tiefe Veränderungen in den Menschen statt.

Und auch in ihm geschahen diese Veränderungen. Langsam, aber doch stetig. Immer neue Möglichkeiten taten sich ihm auf. Es spürte, wie es seinen Platz, den es schon von Anfang an hatte, immer besser einnehmen konnte. Auch sein Gespür für seinen Körper veränderte sich sehr wesentlich. Der Körper wurde tatsächlich durchlässiger und weicher. Ebenso der Umgang mit den Gruppenteilnehmern. Hier hatte es neue Freunde gefunden. Es spürte, wie anders es jetzt auf Menschen zugehen konnte. Es war jetzt fähig, mitfühlend zu sein und wirklich Verbindung aufzunehmen. Sich wirklich auf sein Gegenüber einzulassen hatte es in dieser Form bisher nicht gekannt. Und noch etwas Wichtiges hatte es gelernt: es musste nicht immer alles wissen. Es lernte, dass aufmerksam beim Anderen zu sein und wirklich zuhören zu können, viel wichtiger war, als kluge Ratschläge zu erteilen. Ehrlich über sich und seine Gefühle zu sprechen, und mitzuteilen, wie man selber gewisse Situationen lebte, ermöglichte ganz neue Beziehungen.

Fast etwas überrascht stellte es fest, dass andere Menschen ihr Leben auf ihre ganz eigene Art lebten. Auch wenn es sich von seiner Lebensart unterschied, gefiel es ihm. Im Gegenteil, so konnte es für sich viele neue Sichtweisen kennen lernen und manche Dinge auch ganz neu in sein Leben integrieren. Ja, jetzt musste es nicht mehr immer alles wissen, es durfte lernen. Das Ego war fasziniert und schätzte sehr, mit so unterschiedlichen Menschen zusammen zu sein. Das war eine neue Qualität in seinem Leben.

Es war jetzt viel geduldiger mit sich selber und mit den Anderen. Dazu kam, dass es zusehends mehr Ruhe in sich selber fand. Das wiederum ermöglichte es ihm, auch äußerlich ruhiger zu werden. Stress, Hektik und Chaos schätzte es fortan gar nicht mehr so sehr in seinem Leben und es versuchte, diesen Dingen immer weniger Raum zu geben. Möglich wurde das dadurch, dass es jetzt viel besser bei sich selber sein konnte, zuerst in sich hineinhörte, und dann erst handelte. Durch diese neue Möglichkeit, gut bei sich selber zu sein, konnte es seine Gefühle besser und vor allem viel früher spüren. Auch das fühlte sich wirklich gut an.

Lebensfreude und Zufriedenheit machten sich zusehends in seinem Leben breit. Die schönste Veränderung jedoch war die, sein Herz zu spüren. Es musste sich in dieser Zeit geöffnet haben. Und das Tolle daran war, dass es sich auch nicht bei jeder Kleinigkeit, die nicht passte, sofort wieder verschloss. Was für ein wunderbares Gefühl!

Immer mehr und mehr wurde ihm bewusst, da hatte sich wirklich etwas in ihm verändert. Sich selber und die Menschen zu mögen und anzunehmen, das war eine neue Lebensqualität. Die Worte „Verbundenheit" und „Bezogenheit" hatten einen Sinn und ein Gefühl bekommen. Das Vertrauen in sein neues Leben wuchs zusehends. Es war das Bewusstsein für sich selber entstanden. Wo es früher oft nicht aus noch ein gewusst hatte, konnte es jetzt sogar Visionen entwickeln. Seine Ausdauer hatte sich gelohnt. Es war richtig stolz auf sich.

Voll Zuversicht blickte es nun in seine Zukunft. Sein Leben war jetzt klar auf ein Ziel gerichtet. Es wollte ein gutes, für sich selber stimmiges Leben haben. Humor und Lachen waren zu einem festen Bestandteil geworden. Ja, es konnte tatsächlich wieder so richtig von Herzen lachen. Ein weiterer wichtiger Teil, den es von nun an lebte, war: seine Gefühle durften sein, waren richtig und es zeigte sie und teilte sie seinen Mitmenschen auf gute Art und Weise mit. Sich hinter einer Maske zu verstecken, Dinge einfach hinunterzuschlucken oder Situationen nur auszuhalten, waren jetzt nicht mehr notwendig. Durch sein Handeln aus seiner eigenen Mitte war eine neue Kraft entstanden.

Das Ego durfte jetzt sogar Fehler machen, da es erkannt hatte, dass es daraus ja lernen konnte. Ab und zu einen Schritt zurück, tief durchatmen oder auch eine Nacht darüber zu schlafen, all das war jetzt möglich. Sein Leben hatte Gestalt angenommen, da es sein Leben jetzt gestaltete.

Fast ein wenig überwältigt, aber mit sehr viel Freude erkannte das Ego, dass es zu einem glücklichen, gesunden Ego geworden war. Dankbarkeit gegenüber sich selber und den Menschen, die es bis hierher begleitet haben und auch in Zukunft immer wieder begleiten werden, erfüllt sein Herz. Ja, es ist aus tiefstem Herzen dankbar, diesen Weg eingeschlagen zu haben, und es weiß mit Bestimmtheit, dass es diesen guten Weg auch zukünftig beibehalten wird.